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Freitag, 30. Juli 2010

Christoph Hörstel zu Wikileaks' Afghanistan-"Kriegslogbuch"

WikiLeaks zu Afghanistan

1. Gesiebte und minder wichtige Vorfälle - WikiLeaks gleichgeschaltet?


Die Informationswebsite WikiLeaks hat nach eigenen Angaben 91.000 bis dahin vertrauliche e-mails ins Internet gestellt.

Eine erste zweistündige Prüfung meinerseits hat ergeben, dass:

1. die innere Ordnung teilweise unstimmig ist, denn die Vorkommnisse wurden z. B. nach "Schwere" geordnet - doch fehlen z. B. Vorfälle von "friendly fire" mit Todesfolge, die unter dieser letzteren Kategorie auftauchen.

2. vielfach Vorfälle minderer Schwere angegeben sind, während schwere Vorfälle fehlen.

3.Kritikpunkte von eminenter politischer Bedeutung, die ich in meinem neuesten Buch umfangreich erneut belegt habe, gänzlich fehlen.

Diesen letzteren Punkt räumt WikiLeaks teilweise ein: „The reports do not generally cover top-secret operations or European and other ISAF Forces operations.“, heißt es in der Website.

Besonders diese beiden letzten Kritikpunkte an der WikiLeaks-Sammlung weisen darauf hin, dass es sich hier um eine Sammlung handelt, die weltweit Aufmerksamkeit binden soll, die anderweitig vermutlich besser eingesetzt wäre. Es handelt sich also um das vermutlich weltweit umfangreichste - nicht das bedeutendste! - PR-Manöver der Menschheitsgeschichte zur Ablenkung der Konsumenten.

Das bedeutet NICHT, dass diese Dokumentensammlung wertlos sei. Man muss sie nur richtig lesen: als

1.einen brauchbaren Anfang einer besseren Informationspolitik und einen Gradmesser dafür

2.einen Anhaltspunkt dafür, in welchen Kategorien unschöne Vorfälle existieren und in welcher Richtung eventuelle Verfehlungen durch NATO-/ISAF-Personal gehen.

Auf dieser Website werde ich in den kommenden Tagen ausführlicher Stellung nehmen und begründen.

Bis jetzt nur meine erste Einschätzung: Es ist immer erfreulich, wenn eine Supermacht mit Dreck am Stecken beginnt, die Hosen herunterzulassen, denn es wächst die Hoffnung auf eine Änderung der Politik. In diesem Fall hat diese Macht immerhin schon einmal den Gürtel aus der Lasche gezogen. Die Hose sitzt wie eh und je...

Ernster ist die Lage für WikiLeaks: Es ist kaum denkbar, dass diese riesige Datensammlung, die ich für echt halte, ohne zumindest schweigende offizielle Zustimmung veröffentlicht werden konnte. Dies lässt Fragen zu in Bezug auf die Unabhängigkeit von WikiLeaks und in wiefern die jüngsten Versuche von US-Institutionen erfolgreich sind, WikiLeaks an die Kandare zu nehmen. Das belastete Wort „Gleichschaltung“ taucht auf.


2. New York Times mit Generalangriff gegen Pakistan


Die New York Times hat die Veröffentlichungen von WikiLeaks in ihrer gestrigen Ausgabe auf Seite 1 zu einem sehr ausführlichen Beitrag gegen Pakistans angebliche „Doppelpolitik“ im „Terrorkrieg“ und gegenüber den Taliban genutzt. Der Beitrag erfüllt in gewohnt hoch seriösem Gewand alle wesentlichen Kriterien kriegstreiberischer Hetze.

Wie in meinen Buchveröffentlichungen ausführlich erläutert und belegt, ist der Vorwurf der „Doppelpolitik“ ein Abgrund böswilliger Verlogenheit: Es sind die USA, die seit Jahrzehnten in Pakistan und Afghanistan Doppelpolitik betreiben, sogar die Atompolitik gegenüber Pakistan war stets geteilt: eine Politik mit Gesicht zu Medien und Bevölkerung sowie eine ganz andere, nämlich der heimlichen Unterstützung der pakistanischen Atomrüstung, durch die Geheimdienste. Besonders ekelhaft wird das, wenn jetzt seit Jahren die ganze Welt zur Geisel amerikanisch-israelischer (oder sollte korrekter formuliert werden: ,israelisch-amerikanischer‘?) Kriegsdrohungen gegen den Iran genommen wird.

Konkret zu Pakistan: Wenn der dortige Geheimdienst ISI (Inter Services Intelligence) jetzt angeklagt wird, heimlich mit „Al-Qaeda“ und Taliban und anderen Gruppen zu kungeln und vielfach zu unterstützen, ja sogar anzuleiten, dann ist das eine Politik, wie sie US-Geheimdienste für diese Gruppen wünschen. Der ISI wird vermutlich von den USA vor allem deshalb praktischerweise zwischengeschaltet, damit Washington in der Öffentlichkeit alles leugnen kann. Am meisten leidet Pakistan unter diesen Zuständen. EX-ISI-Chef General Assad Durrani beklagt sich in Privatgesprächen auch, dass viele Zivilisten in seinem Land an CIA-inspirierten Anschlägen sterben, die dann islamischen Gruppen in die Schuhe geschoben werden, um sie zu diskreditieren: false flag operations! In meinem Buch „Brandherd Pakistan“ aber auch im jüngsten Büchlein vom Februar („Afghanistan-Pakistan - Nato am Wendepunkt“) ist alles genau beschrieben und belegt.

Das Doppelspiel geht so weit, dass die Taliban-Gruppe, die in Afghanistan schwere Anschläge u. a. auf die indische Botschaft in Kabul begeht, ihren eigenen Verbindungsoffizier aus der Familie Haqqani in Islamabad unterhält. Adresse/Telefonnummer liegt vor. Allein dieser eine Punkt müsste zur sofortigen Verhaftung aller Geheimdienstspitzen in den USA führen. Meine Prognose: Das wird nie passieren, vorher wird der Dollar unter Kontrolle der öffentlichen Hand gestellt und die FED verstaatlicht...

Die New York Times (pdf) listet auf zehn Seiten in hartem Ton angebliche Vergehen Pakistans auf. Der Tonfall ist geeignet, kriegerische Schritte gegen Pakistan zu rechtfertigen. Schon die Regierung Bush hatte sich dafür, auch von den Demokraten in Senat und Repräsentantenhaus eine Generalvollmacht geben lassen und für diese Kriegsausweitung die vorauseilende Unterstützung der Washington Post sichern können (pdf). Wenn unter Eskalationspräsident Obama jetzt wieder derartige Dinge betrieben werden sollten, deutet das auf fatales Säbelrasseln in der Region hin, die schon durch Aktivitäten in Somalia und Jemen, gegen Iran, Zündeln in der zwischen Pakistan und Indien umstrittenen Region Kaschmir und an der koreanischen Halbinsel vielfach „unter Dampf“ steht.

Die Geschichte lehrt, dass derartige Unruhe-Zusammenballungen sich in großen Kriegen entladen können - darauf halten wir soeben strikten Kurs.

Dass das jetzt von WikiLeaks verdienstvollerweise zur Verfügung gestellte Material derart missbraucht werden kann, weist auf ein mögliches heimliches/uneingestandenes Interesse der Falken in der Obama-Regierung an dieser Veröffentlichung hin. Andererseits jedoch hindert das Material jedoch auch dieselben Kriegstreiber, in Afghanistan noch für lange Zeit so vorzugehen wie bisher. Damit handelt es sich bei dieser Veröffentlichung um einen hoch politischen Drahtseilakt.

Der Obama-Regierungsapparat ist offenbar gegenüber der völlig skrupellosen Machtelite so schwach, dass er meint, ohne derartige Veröffentlichungen nicht klarzukommen. Denn der korrekte Weg, den amerikanischen Verbrechenswust aus den letzten Kriegen auf- und wegzuräumen, wäre ja wohl, alles offiziell durch Untersuchungen aufzudecken und dann harte Reformen einzuleiten. Zu einem solchen Ausmisten sieht sich die Hypermacht offenbar nicht mehr in der Lage - das muss uns zu denken geben.

Morgen wird ein Beitrag über einzelne Schwachstellen des WikiLeaks-Materials folgen, die meine gestern geäußerte These der „gesiebten Information“ über Fälle von minderem Gewicht stützen.

Noch einmal: Trotz aller Einwände und des Missbrauchs durch die NYT ist es positiv zu werten, dass dieses Material veröffentlicht wurde, weil auf diese Weise solche Betrachtungen wie oben und morgen überhaupt erst möglich werden, von der später zu erfolgenden Geschichtsforschung ganz zu schweigen.

3. TV Russia Today stellt Interview auf Youtube


Der englischsprachige TV-Sender „Russia Today“ hat gestern meine kritische Würdigung des WikiLeaks-Materials online gestellt.

Bereits vor meinem Interview vom Montag hatte ich den russischen Freunden im Sender schriftlich meine kritische Haltung zu dem US-Material mitgeteilt